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80 Jahre Arthur
Fischer
Der Gesangverein Freundschaft ehrt seinen Ehrenvorsitzenden
im Rahmen einer Feierstunde.
Doch halt. Wer nun glaubt Arthur Fischer
hätte das Heft aus der Hand gegeben, der irrt gewaltig
und kennt ihn nicht. Er war es, der alle aktiven Mitglieder
des Vereins einlud. Er ist eben auch heute noch ein Macher.
Arthur Fischer wurde am 19. Januar 1929 in Langensulzbach
(Elsass) geboren. Der Vater war Steiger, die Mutter bewirtschaftete
eine kleine Gastronomie. Noch in seiner Kindheit zog die Familie
ins benachbarte Spachbach, denn dort konnte man die Existenz
auf noch solidere Beine stellen. Auch dort betrieb man eine
Gaststätte und der Vater hatte die Position des örtlichen
Bürgermeisters inne.
Der kleine Arthur musste, wie das damals die Regel war, im
elterlichen Betrieb kräftig zur Hand gehen. Dann war
daneben auch noch die Landwirtschaft zu betreiben. Langweilig
wurde es Arthur Fischer beileibe nicht. Im Ort waren in jenen
Tagen französische Soldaten stationiert, die natürlich
gerne und oft im Gasthof einkehrten. Noch heute blitzt der
Schalk in seinen Augen, erzählt er von dem Schabernak,
der Fröhlichkeit und den Streichen, die er mitmachen
durfte. »Eine schöne, wenn nicht die schönste
Zeit meiner Kindheit war das«, hört man Arthur
Fischer dann erzählen.
Mit der schönen Zeit war es nach Ausbruch des zweiten
Weltkrieges vorbei. Die Bevölkerung im Elsass teilte
sich schon zu Besatzungszeiten in die Anhänger der Deutschen
und in die der Franzosen. Waren anfänglich die »Deutschen«
– zu jenen zählte sich der Vater Fischer –
obenauf, so änderte sich das natürlich gegen Kriegsende,
man musste fliehen.
Und so kam es, dass der damals gerade 15-jährige Arthur
Fischer, auf dem Kutschbock des zweispännigen Karrens,
im Dezember 1944, abends gegen 22 Uhr, vor dem Öschelbronner
Waldhorn ankam, anhielt und eine Gruppe junger Männer
nach der Adresse des Bürgermeisters fragte.
Nun muss man wissen, dass in jenen Zeiten die Flüchtlinge
zugeteilt wurden, als Besitzer von Haus und Hof musste man
die Zugereisten aufnehmen. Das machte jene Neubürger
nicht gerade beliebter im Ort. Dementsprechend patzig fiel
die Antwort eines der jungen Männer aus. Arthur Fischer,
mit seinen 15 Lenzen in jenen Kriegsjahren schon zum Manne
gereift, war derart erbost, dass er dem Lästerer kurzerhand
eins überzog. Nun war er angekommen in Öschelbronn
und man munkelt, in den Folgejahren hätte keiner mehr
versucht ihm dumm zu kommen.
Als Kanonenfutter an die Front.
Am 19. Januar 1945 wurde der Arthur Fischer 16 Jahre alt,
in und um Deutschland tobten die finalen Schlachten im längst
verlorenen Krieg. So manch Unverbesserlicher aber war überzeugt,
mit dem letzten personellen Aufgebot, den Kindersoldaten,
das Rad noch zu wenden. Mit 16 war Arthur und so manch anderer
Bursche aus den umliegenden Gemeinden nun wehrtauglich, wurde
in Niefern, bei einem Schnellkursus in »Soldat spielen«
unterwiesen und sollte, bei Nacht und Nebel und per Pedes
(der einzige Wagen musste Waffen und Proviant transportieren)
in sein Verderben marschieren. Nicht ohne vorher unzweideutig
eingebläut bekommen zu haben: »Wer versucht abzuhauen
wird sofort standrechtlich erschossen!«.
Wer bis dahin noch immer nicht wusste, aus welchem Holz der
Arthur Fischer geschnitzt ist wird spätestens jetzt erfahren:
Der Junge hatte alles, nur keine Angst. Mit einem Kumpel verabredete
er, sich in dessen Namen zu melden würde dieser vom Gruppenführer
aufgerufen. Er, der Kumpel solle, so hieß er ihn an,
sich gleich an der Enz in die Büsche schlagen. Er, Arthur
käme bei der nächsten sich bietenden Gelegenheit
nach.
Gesagt getan. Arthur simulierte eine Fußverletzung und
bat, sich hinten am Proviantkarren festhalten und stützen
zu dürfen. Beim ersten Schlagschatten ließ er sich
lautlos zu Boden gleiten, wartete bis der Zug außer
Hörweite war und verschwand ebenfalls im Unterholz an
der Enz.
Zum Glück waren die Wirren des nahen Kriegsendes damals
schon so weit fortgeschritten, dass dieses dreiste Ausbüchsen
keine Folgen hatte. In den folgenden Wochen aber musste die
ganze Familie, auf Geheiß der Kommandantur, noch einmal
auf die Flucht; diesmal in Richtung Bodensee. Was Arthur dabei
zu Gesicht bekam – zum Beispiel Jungs seines Alters,
die mit dem Mute der Verzweiflung und Panzerfäusten versuchten
den Gegner aufzuhalten und prompt im Kugelhagel der MGs ihr
Leben verloren – gehört zu jenen Prägungen,
mit denen diese Generation ein Leben lang zu kämpfen
hatte. Wer den legendären Film »Die Brücke«
von Bernhard Wicki sah weiß, wovon die Rede ist.
Die Liebe und die Sangesfreuden
Das Schicksal wollte es, dass die Fischers wieder nach Öschelbronn,
wieder zu jener Familie kamen, bei der sie auch schon im Dezember
44 einquartiert waren. Und – wiederum hatte die Vorsehung
die Hand im Spiel – die Tochter des Hauses, ein hübsches
Kind namens Magda, gefielt dem jungen Arthur ausgesprochen
gut, was wohl auf Gegenseitigkeit beruhte, denn ein paar Jährchen
später, nach einiger Zeit des Beschnupperns und der relativen
Freiheit (1953 um der Chronistenpflicht genüge zu tun),
heiratete die Magda, die übrigens gerade mal ein paar
Stunden älter ist als er, also in diesen Tagen ebenfalls
ihren 80sten feiern durfte, ihren Arthur.
Wenn man so will, dann war jedoch das Singen des Arthurs »erste
Liebe«. Bereits am 1. Januar 1946 trat er in den Gesangverein
Freundschaft 1873 Öschelbronn e.V. ein. Ein Heldentenor
war er nicht, aber ein veritabler Bariton mit Solistenqualitäten.
Man braucht keinen Taschenrechner um festzustellen: Arthur
Fischer ist inzwischen über 63 Jahre seinem Verein treu.
Allein das ist eine Leistung der man größte Anerkennung
zollen muss. Doch noch ein paar Blicke zurück.
Noch in Frankreich hatte Arthur, die Schule war damals laut
seinen Aussagen nicht nur langweilig sondern auch grottenschlecht,
als Vierzehnjähriger eine Banklehre in Woerth und Weissenburg
absolviert. Diese Karriere war nach dem Krieg aber wenig erfolgversprechend.
Wohlmeinende Berater rieten zu einer Laufbahn im technischen
Bereich und so folgte eine zweite Ausbildung bei Karl Kling
als Mechaniker.
Wie viel Sehnsucht nach Sicherheit und Geradlinigkeit die
jungen Leute nach den Horrorerlebnissen des Krieges hatten,
wird auch in deren Berufslebensläufen deutlich. So hielt
auch Arthur Fischer »seinem Kling« die Treue bis
zum Rentenalter. Als Werkzeugmacher und Betriebsratsvorsitzender
brachte er seine starke Persönlichkeit, seine breit gefächerte
Kompetenz, die Lebenserfahrung und seinen unbeugsamen Willen
auch im Betrieb ein.
Vorstand, Ehrenvorsitzender, graue Eminenz
Doch zurück zur »Freundschaft«. Wahrscheinlich
kann sich kaum einer, der diesem Verein seit Jahrzehnten zugetan
ist, die letzten 50 Jahre ohne den Arthur Fischer vorstellen.
Schon 1955 übernahm er Verantwortung in der Verwaltung,
war bis 1971 zweiter Vorstand, von 1972 bis 1984 erster Vorsitzender
und auch danach in vielen Ämtern als Berater und –
je älter und weiser er wurde – als graue Eminenz
mit von der Partie.
In seine Vorstandschaft fiel das Riesenfest des 100jährigen
Bestehens. Unter seiner Führung entstand der Frauenchor
und später war nicht zuletzt Arthur Fischer die treibende
Kraft, dass Anfang des neuen Jahrtausends die Zukunft des
Vereins, durch die Gründung des Chor 2000, in trockene
Tücher gelegt wurde.
Würde sich Arthur Fischer all seine Auszeichnungen, Nadeln
und Medaillen ans Revers heften, man hielte ihn für einen
sowjetischen Brigadegeneral. Doch derlei Protzerei ist nicht
sein Ding. Noch heute lacht der Schalk aus seinen Augen, wenn
er mal wieder einen, nicht immer jugendfreien Vers zum besten
gibt. Es vergeht kein Fest, kein Treffen, in dem sein frankophiles
Temperament nicht die Stimmung hebt.
Arthur Fischer ist alterslos. Was sollen die 80 Lenze, was
macht es schon, wenn die operierte Hüfte ihn nicht mehr
springen lässt wie einen Jungen. Auch heute kann man
sich nur schwer vorstellen, Arthur Fischer würde jemals
alt. Hans Dietrich Genscher wird der Satz zugeschrieben: Ȁlter
darf man werden, nur nicht alt!« Wahrscheinlich hat
er den Arthur Fischer damit gemeint.
Joachim
Kilian
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